Das Wort Resilienz hat es in den letzten Jahren vermehrt in die Medien, aber auch in die Köpfe vieler Menschen geschafft. Das ist in einer Zeit zahlreicher schneller Entwicklungen und der Erwartung an ein Grösstmass an Flexibilität in der Arbeitswelt sicher kein Zufall.
Doch was steckt eigentlich genau dahinter? Mit Resilienz ist die psychische Widerstandskraft gemeint. Sie wird in der Regel auf den Menschen bezogen, auch wenn es Fachrichtungen gibt, die Resilienz etwa bei Hunden festgestellt haben wollen. Meist wird im Zusammenhang mit Resilienz das schadlose Hervorgehen aus Krisen gemeint. Doch bei genauer Betrachtung geht es auch darum, sich selbst zu finden bzw. Selbst zu sein. Wer bin ich, wohin will ich und wie sieht der Weg dorthin aus?
Weit verbreitet ist die Meinung, man könne Resilienz durch ein reines Verhaltenstraining erreichen. Doch das liesse sich eher als Konditionierung bezeichnen, die hier und da oberflächlich funktionieren mag, aber nichts über unsere Haltung dahinter aussagt.
Wer psychisch stark sein oder werden will, muss weniger sein Verhalten als seine Haltung hinterfragen. Das beste „Training für den Kopf“ bringt keinen nachhaltigen Erfolg, wenn „der Bauch“ nicht mitmacht. Es geht also in erster Linie darum, eine Haltung sich selbst gegenüber und in der Folge auch anderen Menschen gegenüber aufzubauen. Bereits in meinem Coachcast „die Zwischenzeit“ habe ich darauf hingewiesen, dass wir für unser Wachstum immer Druck und Zeit benötigen. Beides ist gleichermassen wichtig, muss aber in der richtigen Kombination „dosiert“ werden. Während Prozesse des Wachstums einerseits nicht zu leicht sein dürfen, weil sie in keiner Veränderung münden, dürfen sie andererseits auch nicht zu schwer sein. Denn Letzteres führt zu Resignation. Wir wollen und können also unsere Herausforderungen unter Druck meistern, und an dieser Stelle kommt die Resilienz ins Spiel. Denn sobald wir unsere Komfortzone verlassen, brauchen wir eine gute Portion Widerstandskraft, um unsere Schritte in die richtige Richtung zu leiten. Ein weit verbreiteter Irrtum macht die Entwicklung von Resilienz heute schwerer als nötig wäre. Es ist die Annahme, dass Widerstandsfähigkeit durch Widerstand entsteht. Und so führen viele Menschen einen inneren Kampf mit sich selbst, der nicht selten so weit geht, dass am Ende die eigene Kraft – und somit auch Resilienz – auf der Strecke bleibt. Das Zusammenspiel von Druck und Widerstand
Tatsächlich erzeugt Druck auch Widerstand. Doch in dem Masse, in dem der Druck wächst, reduziert sich der Widerstand. Die Folge sind psychische und physische Erschöpfung. Wer nicht die Bereitschaft zeigt, in den richtigen Momenten mutige Entscheidungen zu treffen, wird früher oder später nur noch ein Schatten seiner selbst sein. Gleiches gilt für die Erwartungshaltung anderer Personen, die von uns dieses oder jenes erwarten. Wenn wir nicht in der Lage sind, „Nein“ zu sagen, nagt auch das an unserem Inneren und greift uns an. Resilienz kann so nicht entstehen.
Wird der Fokus also vermehrt auf den Druck gerichtet, können weder innere Stärken noch Lösungen erarbeitet werden. Stattdessen versuchen betroffene Menschen, dem Druck so lang wie möglich standzuhalten oder Strategien des Umgangs mit ihm zu entwickeln. Es ist nicht so, dass Erschöpfung entsteht, wenn man zu viel zu tun hat. Arbeit macht ja nicht per se krank oder unglücklich, wie man auch an Menschen sehen kann, die für ihre Arbeit „brennen“ und denen es dabei sehr gut geht. Auch früher schon schufteten Menschen sehr viel, doch sie wurden dadurch nicht zwangsläufig unglücklich (es sind eher andere Faktoren, die zum Gefühl des Unglücks führten). Der Burnout dagegen beruht eher darauf, dass wir zu lange „das Falsche“ tun. Die Basis sind Beziehungen
Es ist also jetzt klarer geworden, was Resilienz bedeutet. Aber es muss darüber hinaus betont werden, dass weder der Begriff noch das inhaltliche Füllen des Begriffs im „luftleeren“ Raum stattfindet. Alles, was wir tun, hat immer auch mit Beziehungen zu tun.
Fragen wir uns, worin in unserem Leben die grössten Herausforderungen bestanden oder wie die gravierendsten Belastungen erwuchsen. Oder denken wir darüber nach, was in unserem Leben den grössten Reibungsverlust ausgelöst hat. Die Antwort läuft darauf hinaus, dass wir alle Gemeinschaftswesen sind, die Beziehungen brauchen. So einzigartig und individuell der Mensch auf der einen Seite ist, so angewiesen ist er auf der anderen doch auf Beziehungen. So lassen sich Reibungsverluste reduzieren und das Bedürfnis nach Gleichwertigkeit erzielen. Selbstverständlich sind falsche Aufgaben, zu lange Arbeitszeiten, zeitlicher Druck und andere Stressfaktoren nicht zu unterschätzen. Doch letztlich sind sie nur das Präsentierproblem. Blickt man ein wenig tiefer auf die Situation, ist das eigentliche Problem auf der Beziehungsebene zu finden. Stress ist kein isoliert zu betrachtender Faktor. Er wird immer durch Beziehungskonflikte ausgelöst. Denn durch sie entstehen Erwartungen, denen wir meinen gerecht werden zu müssen. Nicht einmal die Frage, ob es von aussen diese Erwartungshaltung überhaupt gibt, steht im Vordergrund. Sondern unsere subjektive Wahrnehmung, oft auch unsere Interpretation eine Erwartung an uns. Beides löst den eigentlichen Druck aus. Der Beziehungsaspekt spielt eine zentrale Rolle für unsere Gesundheit, aber auch für das, was uns krank macht. Es sind die inneren Stimmen und Antreiber, die uns unter Druck setzen. Wir wollen es perfekt machen, dürfen nicht verzagen, fühlen uns ungenügend oder abgelehnt. Oder wir sind zu jung, zu langsam, zu untalentiert, andere können es eh besser als wir. Die Liste liesse sich endlos fortsetzen. Resilienz zu entwickeln bedeutet also, an der Grundlage für die eigene Gesundheit und der psychischen Widerstandskraft zu arbeiten. Dies geschieht über unsere Fähigkeit, Beziehungen so zu gestalten, dass sie den Aufbau von Resilienz begünstigen. Es geht um die Gestaltung der Beziehung zu uns und unseren Mitmenschen. Was eine tragfähige Beziehung braucht, ist der Dialog. Wenn wir die Fähigkeit verlieren, einander mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen, ist das der erste Schritt in die Erschöpfung. Weil uns der Verlust des Dialoges schwächt. Dr. med. Miriam Priess beschreibt die vier Ebenen der Erschöpfung mit folgenden Worten:
Nach Dr. med. Miriam Priess durchlaufen wir nach dem Verlust des Dialoges vier weitere Phasen:
Wir sprechen hier von einem Teufelskreis. Denn je hilfloser wir uns fühlen, desto mehr stehen wir unter Stress. Wir suchen zwar unbewusst eine Lösung, finden diese aber nicht (mehr). Und statt den Konflikt zu lösen, probieren wir uns mit Kompensation. Auf unserer Flucht vor dem Lösungsversuch begeben wir uns in Ablenkungen durch Genussmittel, Drogen oder Alkohol, wir überlasten uns mit sportlichen Aktivitäten oder stürzen uns in Affären, die vermeintlich (und immer nur kurzfristig) helfen, dem Teufelskreis zu entkommen. Häufig kommen körperliche Symptome hinzu, die uns daran hindern, mit der Situation umzugehen. Auf den ersten Blick erscheint das einfacher, denn mit Rücken- oder Kopfschmerzen zum Arzt zu gehen, erscheint uns weniger schwer, als uns der Problematik zu stellen. Wie auch immer wir der Lösung des eigentlichen Problems ausweichen, es wird nicht gut enden. Wir entwickeln Süchte und körperliche Symptome, die zu belastenden ausgrenzenden Krankheiten werden. Weil wir also an der Oberfläche bleiben, neigen wir dazu, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Und genau dieser Weg führt uns weiter weg von der Lösung und schadet uns umso mehr. Nur im Dialog können wir den Weg aus der Misere finden. Es ist nicht das schwache Ausweichen, das uns hilft, sondern das starke Handeln. Es beginnt bei uns selbst und führt in der Folge zu unserem Umfeld. Im inneren Dialog darf der Mensch entdecken, wer er ist, was er hat und was er will. Er setzt sich mit seinen Werten und dem eigenen inneren Wesen auseinander. Der Mensch, der sich zu seinen Werten bekennt und sich seiner Ängste bewusst ist (wird), kann sich aus der Opferrolle befreien. Es ist nicht mehr die Umgebung, die ihn formt, sondern die Möglichkeit, durch das eigene Handeln die Zukunft schöpferisch zu gestalten. Wir gehen also in uns und stellen uns dem Konflikt oder den Konflikten. Wir werden ehrlich uns selbst gegenüber und hinterfragen unsere Lebenslügen. Wir gehen unseren Festlegungen auf den Grund und hören auf, alles zu glauben, was wir selbst über uns denken. Weil vieles davon uns abhält, sich auf den Weg der Problemlösung zu begeben. Der innere Dialog ist zudem wichtig, um auch äussere Konflikte zu klären. Das Gespräch mit dem Chef, dem Mitarbeiter, dem Geschäfts- oder Ehepartner kann nur gelingen, wenn wir unseren inneren Dialog geführt haben. Wir müssen zunächst unseren Ängsten auf die Spur kommen, unsere Unsicherheiten durch Reflexion und Selbstgespräche kennenlernen. So können wir unsere Wünsche, unsere Werte und Ziele definieren und aus einem Müssen in ein Erlauben kommen. In der Folge erlauben wir uns Dinge, die wir uns zuvor verboten hatten: Wir lassen es zu, den Erwartungen nicht zu entsprechen, brechen aus dem festen Rahmen aus, teilen unsere Bedürfnisse mit, steigen aus statt ein. Wir müssen nicht mehr jedem gefallen, räumen uns das Recht ein, Fehler zu machen, fühlen uns aber auch angenommen, dazugehörig und betrachten uns als Gegenüber, als Mitmensch und Individuum, das einzigartig und gleichwertig ist. Abschliessend lässt sich feststellen, dass Resilienz dort entsteht, wo ein aufrichtiger und ehrlicher Dialog stattfindet. Resilienz ist also die Fähigkeit des Menschen, zu sich und zu dem, was er ist, zu stehen. Die Widerstandskraft, die mit Resilienz gemeint ist, betrifft also weniger äussere Einflüsse, sie kann vielmehr als Weg zu sich selbst bezeichnet werden. Es ist ein Weg hin zur eigenen Persönlichkeit, eine Entdeckungsreise zu den eigenen Werten und zur Akzeptanz der eigenen Persönlichkeit.
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